Bundespräsident Joachim Gauck bei der Matinee „Afrika in Deutschland“ aus Anlass des 50. Jahrestages der Gründung der Organisation Afrikanische Einheit am 24. Mai 2013 in Schloss Bellevue.
Morgen feiert Afrika eine Art Geburtstag – den 50. Gründungstag der Organisation für Afrikanische Einheit. Für viele in Deutschland ist der große Kontinent im Süden immer noch ein fremder Nachbar. Und da wenig Wissen, dafür aber einiges an Vorurteilen keine gute Kombination sind, habe ich mich entschlossen, mit der heutigen Matinee den Blick darauf zu lenken, wie vielfältig wir Afrika allein in Deutschland begegnen. Gerade konnten wir hören, wie gut es klingt, wenn Deutschland und Afrika zusammenkommen – in diesem Fall in Gestalt der Sängerin Ivy Quainoo. Eine Berlinerin mit Wurzeln in Ghana, Gewinnerin eines populären Wettbewerbs um die schönste Stimme Deutschlands, erfolgreiche Musikerin und seit Februar dieses Jahres Botschafterin für die Schulkampagne des Aktionsbündnisses „Gemeinsam für Afrika“.
Afrika in Deutschland, das sind zunächst einmal die Botschafterinnen und Botschafter der Staaten des afrikanischen Kontinents. Exzellenzen, ich freue mich, dass Ihr Doyen, Botschafter Paka, gleich nach meiner Begrüßung sprechen wird.
Afrika in Deutschland – das sind die vielen Bürgerinnen und Bürger, die von ihrer Herkunft nichts mit unserem Nachbarkontinent zu tun haben, aber im Laufe ihres Lebens einen Weg zu ihm gefunden haben, in Politik, Wirtschaft, Kultur oder in der Entwicklungszusammenarbeit. Ich bin schon vielen von Ihnen im Laufe meiner Amtszeit begegnet.
Afrika in Deutschland – das sind für mich heute vor allem die Menschen mit afrikanischen Wurzeln, die in Deutschland leben. Einige sind hier geboren und aufgewachsen, andere erst später hierher gekommen. Einige sind gekommen, um später wieder weiterzuziehen. Andere, um zu bleiben. Trotz aller Unterschiede: Sie gehören zu uns. Sie kommen nicht nur mit ihren Lasten und Sorgen, sondern auch mit ihren Träumen und Fähigkeiten in unser Land. In Unternehmen, in der Politik, in Vereinen, in Kunst und Wissenschaft können wir ihnen begegnen. Ich freue mich besonders, dass so viele von ihnen heute gekommen sind.
Ich weiß, dass es für Menschen mit afrikanischen Wurzeln nicht immer einfach ist, in Deutschland zu leben. Ich muss nur an den Fußball denken, wo Licht und Schatten ganz dicht beieinander liegen: Einerseits zahlen sich Anstrengung und Leistung beim Sport besonders schnell aus. In den meisten Vereinen gibt es Spieler mit afrikanischen Wurzeln. Andererseits begegnen diese Spieler nicht selten rassistische Anfeindungen. Es ist wichtig, dass die betroffenen Vereine weiter dagegen angehen. Viele tun das schon seit langem. Ich erinnere mich zum Beispiel noch gut an meine letzte Veranstaltung als Vorsitzender des Vereins „Gegen Vergessen – für Demokratie“. Ich war Gast bei den Berliner Eisbären, die sich klar gegen Rassismus positionieren.
Viele von Ihnen, meine Damen und Herren, haben sicher auch in anderen Bereichen unserer Gesellschaft Ihre eigenen Erfahrungen mit Diskriminierung machen müssen. Umso wichtiger ist es, sich auf allen Ebenen dagegen einzubringen und Mitstreiter zu finden. Unsere Gesellschaft bietet unzählige Möglichkeiten dazu, in Vereinen, in Gewerkschaften oder Bürgerinitiativen. Und – ganz besonders wichtig – auch in politischen Parteien. Weil mir dies besonders am Herzen liegt, freue ich mich, dass wir heute mehrere gewählte Mandatsträger unter uns haben, die die Verantwortung eines Wahlamtes auf sich genommen haben. Frau Dr. Nantcha wird als Stadträtin von ihren Erfahrungen berichten.
Es gibt viele unterschiedliche Geschichten, wie Afrikanerinnen und Afrikaner nach Deutschland kommen. Politische Verfolgung ist eine davon. Bei meinem Besuch im Asylbewerberheim in Bad Belzig im letzten Dezember und den Gesprächen dort habe ich gefühlt, was für Schicksale und wie viele Hoffnungen hinter jeder Wanderung stehen. Ich habe großen Respekt vor dem Mut der Menschen, die ihre Heimat verlassen haben. Sie kommen nach Deutschland im Bewusstsein der großen Freiheit, die wir hier errungen haben und genießen, im Respekt vor Demokratie und im Vertrauen auf den deutschen Rechtsstaat.
Aber, Asylbewerber sind nur eine Facette der Zuwanderung aus Afrika. Viele Marokkaner und Tunesier kamen im Rahmen von Arbeitsvermittlungsabkommen als Gastarbeiter in den 60er-Jahren. Aus der ehemaligen deutschen Kolonie Kamerun machten sich schon seit langem viele Studenten auf den Weg nach Deutschland. Die Menschen mit afrikanischen Wurzeln, die bei uns leben, sind von ihrer Herkunft und Geschichte genauso vielfältig wie der Kontinent Afrika.
Sie alle leben in einem Land, das in den nächsten Jahrzehnten, verstärkt durch den demographischen Wandel, Zuwanderung brauchen wird. Wer aber Zuwanderung braucht, darf die Zuwanderer nicht zuerst als Bedrohung oder Belastung sehen. Das fängt mit der einfachen Feststellung an, dass die Zugehörigkeit zu Deutschland eben nicht auf einen bestimmten Phänotyp beschränkt ist. Leider ist dies nicht in allen Köpfen angekommen, so dass der viel zitierte „Migrationshintergrund“ gerade bei vielen Menschen mit afrikanischen Wurzeln oft zum „Migrationsvordergrund“ wird. Erinnern wir daran, dass unsere Verfassung allen Menschen dieselbe Würde zuspricht, ungeachtet dessen, woher sie kommen, woran sie glauben oder welche Sprache sie sprechen! Und daran, dass unser Staat sich immer weniger durch nationale Herkunft seiner Bürger definieren lässt, sondern dass er die Unterschiedlichen verbindet, die nach dem Gemeinsamen streben. Ich sehe Deutschland als ein Land, in dem alle zu Hause sein können, die bei unserem Grundgesetz zu Hause sein wollen. Unter dem Dach dieses Hauses wird aus der Vielfalt etwas Gemeinsames, wenn das geschieht, dürfen wir uns freuen, sogar stolz sein.
Viele in Deutschland wissen nicht, dass eine große Zahl der Zuwanderer aus Afrika gut ausgebildet ist. Also, sorgen wir dafür, dass mehr davon erfahren. Das sollte den Zuwanderern die Türen zu Möglichkeiten der Teilhabe öffnen. Und noch etwas bringen viele Menschen, die aus Afrika nach Deutschland kommen mit: Für die meisten afrikanischen Gesellschaften ist Mehrsprachigkeit etwas völlig Normales. Viele sprechen zusätzlich zu afrikanischen Sprachen Englisch, Französisch, Portugiesisch oder Spanisch. Da ist der Weg zur deutschen Sprache nicht mehr weit. Auch die Akzeptanz von Diversität gehört in unserem Nachbarkontinent in vielen Ländern viel stärker zum Alltag. In Deutschland hören wir oft von ethnischen Konflikten, aber über das friedliche Zusammenleben in den meisten der Vielvölkerstaaten wissen wir nur wenig.
Ich will heute nicht nur über Positives sprechen. Bei meiner Rede vor der Afrikanischen Union in Addis Abeba im März habe ich auch über die Probleme Afrikas gesprochen. Über schlechte Regierungsführung, Armut und Kriege, über Menschenrechtsverletzungen. Millionen fliehen vor Hunger und Gewalt. Die meisten Flüchtlinge kommen übrigens nicht nach Europa, sondern werden in Nachbarländern versorgt. Viele mit Hilfe des Flüchtlingswerkes der Vereinten Nationen. Aber viele eben auch von Gemeinden, die selber nicht viel haben. Die innerafrikanische Solidarität mit Flüchtlingen ist eindrucksvoll.
Bei meinem Besuch in Äthiopien habe ich viel über Mobilität in Afrika selber gelernt. Für viele ist es normal, sich auf den Weg zu machen – sei es, um schlechte Ernten auszugleichen, neue Handelswege auszuloten oder einfach um bessere Arbeitsmöglichkeiten zu nutzen. In Westafrika leben mehrere Millionen von Menschen nicht in ihren Heimatländern. Freizügigkeit – einer der Grundsätze unserer Europäischen Union – ist daher auch in der Afrikanischen Union und den Regionalorganisation ein großes Thema. In einigen Regionen des Kontinents ist es heute schon sehr einfach, sich auch in einem anderen Land niederzulassen.
Da stellt sich natürlich die Frage, wie Europa und Afrika mit Fragen der Migration untereinander umgehen. Europa, mit einer alternden Bevölkerung wird sich nicht von seinem Nachbarkontinent, mit einer jungen und wachsenden Bevölkerung abschotten können – und sollte es auch gar nicht. Europa wird nicht jeden Afrikaner aufnehmen können, aber andererseits will nicht jeder Afrikaner unbedingt dauerhaft in Europa bleiben. Und in Zeiten der Krise ist es zum Beispiel für Portugiesen normal, die Chancen auf einen Arbeitsplatz in europäischen Ländern mit denen in den portugiesischsprachigen Ländern Angola oder Mosambik zu vergleichen. Sechs der zehn am schnellsten wachsenden Volkswirtschaften der Welt liegen in Afrika. Viele der Länder sind wichtige Zukunftsmärkte für die deutsche Wirtschaft, vor allem für den Mittelstand. Liegt es da nicht auf der Hand, das Wissen und das Können der Menschen mit afrikanischen Wurzeln hier unter anderem auch dafür stärker zu nutzen, um besser ins Geschäft zu kommen? Ich glaube, hier liegt noch viel unerschlossenes Potenzial. Unsere beiden Kontinente sollten sich auch deshalb gemeinsam überlegen, wie die Migration zwischen ihnen so gestaltet werden kann, dass den Interessen der jeweiligen Zuwanderer wie auch der Aufnahmegesellschaften vernünftig Rechnung getragen werden kann.
Die Afrikanische Union hat ihre Vision von “einem integrierten, wohlhabenden und friedlichen Afrika“. Deutschland wird ihr dabei als Partner zur Seite stehen. Frieden, Sicherheit und Entwicklung gehören zusammen, das hat mir gegenüber auch die Vorsitzende der Kommission der Afrikanischen Union, Frau Zuma, in Addis Abeba bekräftigt. Ich habe großen Respekt vor dem Engagement der Afrikanischen Union für Frieden und Sicherheit.
Aber, der Weg zu einem friedlichen Afrika ist schwer. Und es gibt auch Rückschläge. Ich denke dabei an die Krise in Mali. Tausende von Menschen sind vor der Gewalt der Islamisten geflohen. In einigen Regionen des Landes ist die öffentliche Sicherheit trotz des Einsatzes des französischen Militärs und seiner afrikanischen Verbündeten bis heute noch nicht wiederhergestellt. Aber auch in Mali gibt es Aktionen der Zivilgesellschaft. Zum Beispiel haben sich vierzig bekannte Musiker mit dem gemeinsam aufgenommenen Lied zu Frieden und Einheit des Landes bekannt. Eine der beteiligten Sängerinnen ist hier. Wir werden sie im Anschluss an die Reden hören: Fatoumata Diawara.
Singen alleine hilft nicht gegen akute Gewalt. Im Falle Malis war eine militärische Reaktion angemessen. Aber in der nächsten Phase kommt auf die Afrikaner und ihre Unterstützer der internationalen Gemeinschaft eine große Herausforderung zu. Deutschland hilft sowohl mit militärischen, als auch mit zivilen Mitteln. Die Geberkonferenz von Brüssel vergangene Woche war ein eindrucksvolles Zeichen der internationalen Solidarität für das Land. Aber auf der Konferenz wurden auch die notwendigen politischen Schritte genannt, um die Krise zu bewältigen. Eine Lösung der Krise kann letztlich nur von innen kommen.
Insgesamt bin ich zuversichtlich, dass Afrika trotz aller Schwierigkeiten auf dem richtigen Weg ist. Afrikanerinnen und Afrikaner fordern stärkere Teilhabe. Sie wollen und werden Gesellschaften mitgestalten. Das sollte auch hier besser bekannt sein. Die vielen Veranstaltungen in dieser Woche, die hier aus Anlass des 50. Jahrestages der Gründung der Organisation für Afrikanische Einheit stattfinden, können dazu Impulse geben.
Der berühmte senegalesische Philosoph und Staatsmann Léopold Sédar Senghor, der im zweiten Weltkrieg als französischer Soldat in deutsche Kriegsgefangenschaft kam, hätte allen Grund gehabt, die Deutschen zu hassen. Aber er lernte Deutsch, um die deutsche Literatur zu entdecken. Seine Botschaft an Afrika nach der Lektüre von Goethe war: „Er lehrte uns zunächst, dass in der kulturellen Vereinsamung, in der Selbstbezogenheit, in dem Vorhaben, nur auf die eigene Rasse, die eigene Nation, die eigenen Werte zu bauen, eine große Gefahr lag“. Senghor warb für gegenseitige Inspiration. Und genau dies: Inspiration – brauchen wir in den Krisen der Zeit. Und jetzt freue ich mich auf „Afrika in Deutschland“, Afrika in Schloss Bellevue.